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Samstag, 14. Juni 2014

Sprache und Sprachtechnologie

Mit Sprache und Sprachtechnologie verbindet mich eine alte Liebe. Eines meiner ersten Projekte war ein EU-Projekt zur Förderung der Sprachtechnologieforschung. Und einige Jahre später war ich an der Evaluation anderer EU-Fördermaßnahmen für Sprachtechnologie beteiligt. Ich fand die Möglichkeiten, gesprochene Sprache automatisch in Text zu verwandeln, oder auch Sprache automatisch zu übersetzen, ziemlich beeindruckend, obgleich noch ziemlich heftige Fehler auftraten.
Heute sind viele Visionen, die damals nur ein bis zwei Jahre entfernt schienen, dann - mit gehöriger zeitlicher Verzögerung - doch wahr geworden. SIRI lässt das Handy aufs Wort gehorchen, und jetzt hat Microsoft für Skype eine Echtzeit-Übersetzung angekündigt.

In meinem Blog zur Europa-Wahl hatte ich mich noch ganz enthusiastisch ob des sozialen Nutzens von Sprachtechnologie in Europas Vielsprachenwirklichkeit gezeigt, aber jetzt kommen mir doch Zweifel. Was wäre, wenn es gar nicht so toll ist, automatisch immer alles zu verstehen? Mark Pagel zeigt in diesem (auch als Text transkribierten) Radiobeitrag, dass Sprache nicht zu dazu da ist, uns die Verständigung zu ermöglichen, sondern dass sich Sprachvielfalt auch aus dem Bedürfnis nach Nicht-Verstehen heraus entwickelt hat. Ausgangspunkt ist die Frage, warum es eigentlich so viele verschiedene Sprachen gibt, zum Teil auf engstem geographischem Raum. Pagels These ist, dass Sprache Gruppenidentität erzeugt und zur Abgrenzung von anderen Gruppen stetig weiterentwickelt wird, um für andere unverständlich zu bleiben.

Wir kennen das ja auch aus Jugendsprachen, die nur deshalb so schnell neue Grade der Unverständlichkeit entwickeln, damit die ach so jugendlich gebliebenen Eltern nicht hinterherkommen mit dem Verstehen. Und all die Fachsprachen und das Bürokratendeutsch hat vermutlich auch nur die soziale Funktion, als Geheimsprache das Tun der jeweiligen Gruppe vor dem Verstehen der Restgesellschaft zu verschleiern. Was aber, wenn wir immer alles per wearable Computer sofort übersetzt bekämen. Folgt man Pagel, so würden wir halt Alternativstrategien zur Abgrenzung entwickeln und uns so gegen die Gleichmacherei wehren. Die Utopie von Douglas Adams Babelfisch (übrigens schon früh als Namensgeber für Sprachtechnologie genutzt) wird also möglicherweise nie Wirklichkeit.

Die digitale Revolution droht aber nicht nur mit der irdischen Hölle der allgegenwärtigen Übersetzung, sondern auch damit, Maschinen ununterscheidbar von Menschen machen. Vergangene Woche rauschte eine Meldung durch den digitalen Blätterwald, dass ein Computerprogramm endlich, endlich den Turing Test bestanden habe. Einigen Artikeln stieß zwar auf, dass dieser Durchbruch ausgerechnet am 60. Todestag von Turing gelang, sie witterten eine PR-Gag statt einem epochalen Schritt der Künstlichen Intelligenz. Gleichwohl, auf kurz oder lang werden Maschinen so kommunizieren, dass der Unterschied zu menschlicher Kommunikation kaum noch zu erkennen sein wird (- auch wenn man bei manchen Menschen und dem, was sie von sich geben, den Eindruck haben könnte, dass sei gar nicht so schwer).

Zurück zur Theorie von Mark Pagel würde uns das in schwere Bedrängnis bringen, weil wir uns von den kalten Maschinen ja weiterhin merkbar abgrenzen wollen. Diese Phantasien haben herrliche kreative Energien befördert. Verschwimmenden Grenzen zwischen Androiden und Menschen haben z.B. zu einem der schönsten Titel der Science Fiktion Geschichte geführt: Träumen Androiden von elektrischen Schafen? Als Blade Runner wurde das Buch dann zu einem Klassiker der Filmgeschichte. Zeigt diese kreative Kraft nicht auch, wie bedrohlich der Gedanke eigentlich auf uns wirkt?

Die Tragik von Verstehen und Nichtverstehen hat übrigens Alan Turing, der Erfinder des Turing-Tests, am eigenen Leibe erfahren. Ihm wurde sein Anderssein und die Ablehnung der Gesellschaft zum Verhängnis, wie der Blog der Zeit erinnert.

 

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